Living Room

VAL SMETS 
17.07.-04.09.2021
Eröffnung | 17.07.2021, 11 Uhr 
Die Künstlerin ist anwesend 


Über eine Malerin

„Macht Euch verwandt, nicht Babys!” (1), fordert die Biologin, Wissenschaftstheoretikerin und Geschlechterforscherin Donna Haraway seit einigen Jahren. Sie meint damit nicht (nur), dass homo sapiens sich nicht mehr fortpflanzen sollten, sondern in erster Linie lenkt sie damit die allgemeine Aufmerksamkeit auf die unterschiedlichen Beziehungen, die „wir” mit den anderen Tieren unterhalten. Warum eigentlich nicht einmal einen Baum heiraten, oder statt dem dritten menschlichen Kind zwanzig Ameisen adoptieren? Es bräuchte dafür natürlich keine altmodischen Hochzeitsrituale, sondern neuartige, gleichberechtigte Formen der Fürsorge, des caring. 

Haraway diagnostiziert in ihrem jüngsten Buch und appelliert zugleich: 

„Wir alle auf Terra leben in unruhigen Zeiten, in aufgewirbelten Zeiten, in trüben und verstörenden Zeiten.(…) Aufgewirbelte Zeiten quellen über vor Schmerz und Freude, vor sehr ungerechten Mustern von Schmerz und Freude, vor sinnlosem Abtöten des Weiterbestehens, aber auch vor unerlässlicher Wiederbelebung. Die Aufgabe besteht darin, sich entlang erfinderischer Verbindungslinien verwandt zu machen und eine Praxis des Lernens zu entwickeln, die es uns ermöglicht, in einer dichten Gegenwart und miteinander gut zu leben und zu sterben.” (2)

Was könnte das alles mit einer jungen luxemburgischen Künstlerin zu tun haben?

Val Smets ist Malerin. Und das mit Leib und Seele. Das klingt pathetisch, ist es aber in diesem Zusammenhang ausnahmsweise einmal nicht. Val ist so klar in Zeit und Raum verortbar, stehend, liegend und kniend an ihren, am Boden wartenden, großformatigen Gemälden arbeitend, so sehr im Lichtraum ihrer Umgebung verhaftet, die Körpergefühle einfrierend, so weit aus dem Malraum aussteigend, so dass der reale Raum schon wieder zu einem Gemälde wird, ihre Gemälde gleichzeitig genauso wichtig oder unwichtig nimmt, wie alle anderen Werkzeuge ihrer Kunst, die so genau an uns Betrachterinnen und Betrachter denkt, die mit einem menschlichen Maß an der Transzendenz arbeitet.

Diese Transzendenz ist hier keine göttliche (Ansichtssache) und auch keine humane (das bestimmt nicht), sondern eine Hinwendung zu allem anderen, was zwischen uns und dem was-auch-immer-da-oben liegt. Und da liegt so einiges. Insbesondere wächst da so einiges und leben so wieso. Val Smets Kunstwerke vibrieren teilweise vor lauter Leben. So sehr, dass die Betrachterin und der Betrachter, nicht einmal rein steigen müssen, nicht erst aktiviert werden sollen, sondern sofort verstehen, dass sie ja sowieso nur ein unglaublich kleiner Teil des großen Ganzen sind. Und dieses Ganze ist auch nicht so ganz, wie wir immer glauben wollen. Ihre ständigen Kunstbegleiter*innen sind die Pilze, denen mittlerweile endlich ein gerechter Platz im naturkundlichen Weltbild eingeräumt wird. Sie sind nämlich überall, doch übersieht man sie nur allzu leicht. Sie halten uns alle am Leben, beeinflussen, wie wir Menschen und Tiere fühlen und denken, und sind für alle Lebensformen unverzichtbar. Sie existieren an der Grenze zwischen Leben und Tod. Der größte bekannte Pilz umfasst zehn Quadratkilometer, wiegt mehrere Hundert Tonnen und ist zwischen 2.000 und 8.000 Jahre alt. Pilze verfügen über eine eigene Intelligenz — und das ganz ohne zentrales Gehirn — und können ihre Umwelt manipulieren wie sie wollen. (3)

Haraway fordert: „Es ist unsere Aufgabe, Unruhe zu stiften, zu wirkungsvollen Reaktionen auf zerstörerische Ereignisse aufzurütteln, aber auch die aufgewühlten Gewässer zu beruhigen, ruhige Orte wieder aufzubauen.” (4) Val Smets fischt im aufgewühlten Wasser. Ihre Kunst ist schwer zu beschreiben, sondern nur zu erfahren. Eine eklektische Superposition, die einen einsaugt, langsam zerkleinert, mit der Zunge abtastet, vorsichtig schmeckt, schluckt und uns etwas zerknautscht, aber immerhin verdaut, wieder in die echte Welt entlässt. Ihre Praxis spielt mit dem Paradies. Und das ist eben mannigfaltig. Es ist gleichzeitig innere Projektion, Trugbild, wie eine offene Tatsache. Die Schnittstellen ihrer inneren Migration und äußeren Projektionen, die Val Smets öffnet, sind es, die uns so zuversichtlich stimmen, so überwältigt und eben so menschlich. Diese Menschlichkeit müssen wir endlich vom Menschen lösen und uns verwandt machen!

Markus Waitschacher


(1) Make kin, not babies
(2) Aus: Donna J. Haraway: Unruhig bleiben. Die Verwandschaft der Arten im Chthuluzän. Aus dem Englischen von Karin Harrassser. Frankfurt am Main, 2018 S. 9.
(3) Vgl.: Merlin Sheldrake: Verwobenes Leben: Wie Pilze unsere Welt formen und unsere Zukunft beeinflussen. Berlin, 2020.
(4) Aus: D. Haraway, S. 9.  

Fill in the form below so that we can contact you with more information about this work.