Erzählt eine sich widerspenstig nach links außen drehende Haarsträhne etwas über die Privatperson beziehungsweise den Künstler Alfredo Barsuglia? Von einem Porträtfoto erwartet man sich neben Informationen zum Erscheinungsbild auch Hinweise auf Charakterzüge, die man von körperlichen Merkmalen, Kleidung oder Bildhintergrund abzuleiten versucht. Für die Arbeit Ich (2018) eliminiert Alfredo Barsuglia derartige Projektionsflächen weitgehend, und lässt sich vor weißem Hintergrund mit nackter Schulterpartie abbilden. Im Roman Uno, nessuno e centomila aus dem Jahr 1926 beschreibt der italienische Nobelpreisträger Luigi Pirandello die umfassende Identitätskrise des Protagonisten Vitangelo Moscarda, ausgelöst von der nebensächlichen Bemerkung seiner Gattin Dida, dass sich seine Nase zur rechten Seite drehe. Auf die späte Entdeckung dieser Gesichtsunregelmäßigkeit folgt die schmerzhafte Erkenntnis, dass sein Umfeld ihn nicht nur äußerlich, sondern auch charakterlich gänzlich anders wahrnimmt, als er es selbst bislang zu tun pflegte. Die Situation verschärft sich mit der Feststellung, dass er es nicht nur mit einem einzigen fremden Bild seiner Person zu tun hat, sondern mit hunderttausend Moscardas. Was den einen an den Rand der Verzweiflung bringt, ist für den anderen Anreiz zur konstanten Veränderung. 2005 reicht Alfredo Barsuglia bei einer Ausschreibung ein Portfolio ein, aus dem er seine malerischen Arbeiten und somit einen nicht unwesentlichen Teil seiner künstlerischen Biografie komplett ausklammert. Indem er sich keinem spezifischem Medium oder Genre verschreibt, sondern diese im Gegenteil immer wieder aufs Neue kombiniert, löst er sich von dem einengenden Ruf nach Wiedererkennbarkeit, wie sie zuweilen der Kunstmarkt fordert. Und gewinnt dadurch einen künstlerischen Freiraum: So ist er mit der Performance LOSS (2017), einer Zusammenarbeit mit Jasmin Hoffer und Oleg Soulimenko, bei internationalen Tanzhäusern zu Gast, oder nimmt für das Projekt Mariainsel (2018) im Rahmen der Wasser Biennale in Fürstenfeld gleichermaßen die Rolle des Künstlers und Kurators ein, indem er eine bespielbare Installation im öffentlichen Raum schafft. Innerhalb dieses Spiels mit Rollen und Arbeitsweisen verliert Barsuglia den Wesenskern seines Schaffens nie aus den Augen und bleibt so doch ganz bei sich: Seine Arbeiten sind Inszenierungen neuer Welten, in denen man sich eine Zeitlang verlieren möchte. Für die Galerie Zimmermann Kratochwill entwickelt er eine Doppelausstellung, in der er einen glamourösen Showroom auf subtile Naturstudien treffen lässt und die selbst für Kenner/innen seiner Arbeiten die eine oder andere Überraschung birgt. Während Pirandello’s Moscarda verzweifelt in den Spiegel blickt, um die ihm fremde Person zu erkennen, die nur seine Umwelt zu sehen imstande ist, stellt uns Alfredo Barsuglia zwei und mehr Versionen seiner selbst vor und fragt nicht, sondern behauptet: does it matter. Text: Johanna Rainer
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